Das Ensemble von "Das Kraftwerk" löscht eimerweise ein Feuer.

Lokale Missstände, globale Wirkung?

Aram Tafreshian versucht, soziale, ökologische und wirtschaftliche Realitäten der Lausitz auf die Bühne zu bringen, verheddert sich aber in Albernheiten.

Text: Sophie-Margarete Schuster

Grün angeleuchtete Felsen ragen aus dem Braunkohleboden. Ein Heulen zieht durch die Ränge. Es donnert. Durch die linke Seitentür hoppelt eine Herde Schimpansen in blauen Regenanzügen auf die Bühne. Sie gackern und schreien; inspizieren ihre Umgebung, entzünden ein Feuer und tanzen im Kreis: Mit diesem Bild eröffnet Aram Tafreshian seine Uraufführungs-Inszenierung von "Das Kraftwerk". Das Recherche-Stück hat Regisseur und Autor Calle Fuhr geschrieben, der für die Entwicklung dieser Arbeit mit dem Medienunternehmen CORRECTIV zusammengearbeitet hat. Das Vorhaben: investigative Recherchen zur Wasserversorgung und -qualität in der Lausitz ins Theater überführen, den Einfluss von Lobbyismus auf Politik und Behörden mit den Mitteln des Theaters in die Köpfe tragen.

Das Kraftwerk (c) Bernd Schönberger

Keine leichte Aufgabe. Wie kann journalistische Arbeit auf der Bühne ästhetisiert werden? Wie finden bio-chemische Zusammenhänge ihren Weg ins Theater? Vielleicht mit einer lustigen Affenbande, die mit ihren Albernheiten immer wieder die Handlung des Stückes unterbricht? Der Abend zeigt: Die Affenbande hätte der Regisseur Tafreshian nicht gebraucht. Nach einer Weile fangen die Zwischenspiele sogar an zu stören; sie lenken von der eigentlichen Geschichte ab. Den Figuren, den Dialogen, dem Bühnenbild und den Emotionen wird Raum genommen, den es bräuchte, um das Material zu verlebendigen. Carla, eine junge Journalistin, erbt nach dem Tod ihres Großvaters eine alte Hütte in Cottbus. Dort findet sie eine Kiste mit geheimen Dokumenten. Ihr Großvater hat sie ihr hinterlassen, damit seine Enkelin die profitorientierten Umweltsünden des Energieversorgers LEAG enthüllen kann.

Die Gegenwart eines ganzen Planeten lässt sich nicht in einen kleinen Theatersaal pressen. Cottbus ist ein erster Schritt.

Der Abend nimmt Fahrt auf, sobald Carla und die anderen ihre Köpfe in die Kiste stecken und in die detektivische Arbeit abtauchen: Nebelschwaden steigen auf, ihre Stimmen hallen wie eine heimliche Tonaufnahme durch den Saal. Wir sind der Wassermafia auf der Spur. "Durch das Abbaggern kommen die geologischen Schichten mit Sauerstoff in Berührung. Und es bilden sich Schwefel und Eisenverbindungen. Steigt der Grundwasserspiegel wieder, werden diese ausgewaschen und das Wasser versauert und verockert", erklärt Navid.

Über ihnen dreht sich ein großer Ventilator aus Neonröhren – wie in einem Labor, in dem die Hitze den Laborratten langsam zu Kopf steigt. Es fällt ein Name: Křetínský. Daniel Křetínský. Der Investor kaufte die ostdeutsche Braunkohle und gab sich als Retter der Lausitz aus. Alles, was zwischen Lichtwechseln und Nebelschwaden auf der Theaterbühne untergeht, kann im Anschluss gründlich nachgelesen werden: In einem Flyer des Staatstheaters Cottbus, der vor Beginn der Aufführung an das Publikum verteilt wird, finden sich zahlreiche QR-Codes, die zu weiteren Informationen führen.

Das Kraftwerk (c) Bernd Schönberger

Theater ist Gegenwart – räumliche, soziale und körperliche Gegenwart: Wenn Carla ein altes Bergmannslied anstimmt, passiert im Saal des Staatstheater Cottbus etwas anderes als im Münchner Volkstheater. Es ist ein Kunstgriff, der lokal denkt. "Wie könnte denn heute die Welt noch bestehen, wenn keine Bergleut wärn", singt sie in Erinnerung an ihren Opa und verwebt "Das Kraftwerk" auf diese Weise untrennbar mit Cottbus, mit der sozialen Realität einer Region. Doch das, was CORRECTIV, Calle Fuhr und Aram Tafreshian hier auf die Bühne bringen, weist über Cottbus hinaus. Es ist der Versuch, das Theater als eine Praxis der Entlarvung von Missständen zu begreifen. Der Versuch, neben dem Gerichtssaal noch einen anderen Ort zu schaffen, in dem Unerhörtes Gehör findet. Die Gegenwart eines ganzen Planeten lässt sich nicht in einen kleinen Theatersaal pressen. Cottbus ist ein erster Schritt.

Mehr zur Autorin

Sophie-Margarete Schuster (c) Richard Schneider

Sophie-Margarete Schuster, geboren 2001 in Frankfurt am Main. Regie-Hospitanz an der Volksbühne Berlin (2020). Studium der Geschichts- und Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Studentische Mitarbeit in der Redaktion der geschichtswissenschaftlichen Informations- und Kommunikationsplattform "H-Soz-Kult". Ehrenamtliche Mithilfe in transnationalen Theaterprojekten der KULA Compagnie. 2023 erstmals journalistisch für "Theater der Zeit" aktiv und freiberuflich als Lektorin für den Verlag.